Beim Bergischen Geschichtsverein (BGV), Abteilung Remscheid, war am Dienstagabend Pfarrer Wolfgang Motte aus Radevormwald zu Gast. „Er hat viel für den BGV getan“, bedankte sich Vorsitzender Alfons Ackermann bei dem Pfarrer im Ruhestand, der als Synodalbeauftragter für Archivwesen die Chronik zum 200-jährigen Bestehen des Evangelischen Kirchenkreises Lennep und seiner Gemeinden 1817 bis 2017 verfasst hatte. Und unter diese Überschrift stellte er auch seinen Vortrag, dem rund zwei Dutzend Besucher im Saal des Logenhauses an der Wilhelm-Schuy-Straße mit großem Interesse lauschten.
18 Gemeinden ist der Kirchenkreis aktuell stark. Bei seiner Gründung war er zumindest in der Fläche größer, denn die Kirchenkreise seien früher deckungsgleich mit den Landkreisen gewesen: Er habe damals bis zum Rhein gereicht.
„Nach der Gründung vor 200 Jahren wurde zunächst Solingen eigenständig, Jahre später wurde Leverkusen vom Solinger Kirchenkreis abgespalten. Aus damals einem sind heute drei Kirchenkreise geworden“, erklärte Motte.
Er erinnerte an den Stadtbrand in Radevormwald im August 1802: „Beide evangelischen Gemeinden, die lutherische und die reformierte, versammelten sich in der katholischen Kirche. Das war damals kein Problem. Der Zeitgeist war der Rationalismus, andere Strömungen folgten.“ Nach 1815 habe sich das Verhältnis zur katholischen Kirche verschlechtert. Misch-Ehen zwischen katholischen und evangelischen Partnern hatten zugenommen. Da habe die katholische Kirche verlangt, dass die Kinder aus diesen Ehen katholisch getauft werden müssten. Dann habe es geheißen, dass
die Kinder die Konfession des Vaters annehmen sollten. „Der Kölner Erzbischof lehnte das ab, 1837 wurde er verhaftet“, schilderte der Pfarrer die Situation in dieser Zeit.
Die Gemeinden, die den Kurs nicht mittragen wollten, hätten sich verselbstständigt. So habe Pastor Haver die Martinikirche gegründet, später sei er - wohl ohne religiöse Motivation - erschossen worden. „In Rade hat jede Gemeinde ihren Märtyrer“, kommentierte. das der Pfarrer.
Ab den 1830er Jahren gründeten sich abseits der Kirche Vereine. 1840 sei der erste Jünglingsverein gegründet worden, statt Gemeindehäuser baute man Vereinshäuser. „Es gab auch Enthaltsamkeitsvereine, um die Leute vom Suff abzuhalten“, wusste Motte. Konfirmanden seien aber nicht in die Vereinshäuser gegangen, sie wurden in den Schulen unterrichtet. „Innerhalb von 60 Jahren bis 1914 ist die Zahl der Gemeindeglieder im Kirchenkreis von 52 000 auf 116 000 gestiegen. In Remscheid - ohne Lennep und Lüttringhausen - gab es 46 000 Gemeindeglieder, den sechs Pfarrern wurden je 7666 zugewiesen. Remscheid hatte sogar eine Station der Heilsarmee.“ 1943 wurde in Lennep eine Kleinkinderschule eingerichtet, in Lüttringhausen entstand ein Verein für kranke und verwaiste Kinder.
Der Erziehungs- und Fürsorgegedanke habe im Mittelpunkt gestanden. Klagen über den sittlichen Zustand der Gemeinden seien laut geworden. „Hier bei uns blieb die Anzahl der unehelich geborenen Kinder im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands ziemlich gering. Man sagt, es liegt am Einfluss der Reformierten.“
Die Kriegspredigten in den Jahren 1914 bis 1918 schilderte Motte so: „Das hörte sich an, als hätten sie alle ein Brett vor dem Kopf gehabt.“ Christen hätten auch zur Reichskristallnacht geschwiegen, der Zustimmung zum Nationalsozialismus sei aber bald die Ernüchterung gefolgt. „Im November 1938 - da waren wir biblisch gesprochen stumme Hunde.“
Riesige Hilfen habe es später für die Pfarrer in der damaligen DDR gegeben. Fast jeder Pfarrer dort habe einen Trabbi bekommen: „Der wurde von hier aus bezahlt. Da hat man nicht auf sich selbst geguckt“, sagte Motte.