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Erinnerung an zwei mutige Menschen

Erinnerung an zwei mutige Menschen

Aus der Bergischen Morgenpost Radevormwald vom 14.10.2023

Stefan Gilsbach

RADEVORMWALD Sie blieben standhaft und schworen ihrem Glaube nicht ab, nicht einmal im Angesicht des Konzentrationslagers. Der Mut von Martha und Emil Guth nötigt höchsten Respekt ab. Das Ehepaar aus Radevormwald war 1924 Mitglied der Gemeinschaft der Bibelforscher geworden, die heute als Jehovas Zeugen bekannt sind. Die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft lehnen unter anderem den Militärdienst ab. Sie gerieten bereits 1933, nach der Machtübernahme der Nazis, ins Visier des Regimes.

Beide Eheleute wurden 1882 geboren und heirateten im Jahr 1920. Sie wohnten zunächst an der Leimholer Straße 5, dann im Grünenbaum 70, an der Siepenstraße 43 und schließlich im Haus Bredderstraße 9. Vor diesem Gebäude wurden am Freitagvormittag während einer Gedenkstunde zwei Stolpersteine verlegt, die nun ein bleibendes Denkmal an das Ehepaar Guth sein werden. Zahlreiche Menschen, sowohl aus den Reihen der Religionsgemeinschaft als auch historischen Vereinen der Region, waren gekommen.

Bürgermeister Johannes Mans mahnte in seiner Begrüßung die Anwesenden zum „unermüdlichen Einsatz für unsere Demokratie“. Was es bedeutet, wenn ein Unrechtsregime die Macht übernimmt, das hat für die Opfergruppe Jehovas Zeugen T. Martin Krüger für den Verein „Bergische Zeitgeschichte“ recherchiert. Dabei konnte er auch auf Dokumente aus dem Radevormwalder Stadtarchiv zurückgreifen, dessen Leiterin Iris Kausemann er ausdrücklich für die Unterstützung dankte.

Krüger schilderte, welchen Verfolgungen Martha und Emil Guth im „Dritten Reich“ ausgesetzt waren. Obwohl Jehovas Zeugen im ganzen Reich verboten waren, setzten sich die beiden Radevormwalder weiter für ihren Glauben ein. Weil Emil Guth eine aus der Tschechoslowakei eingeschmuggelte Ausgabe de „Wachturm“ weitergegeben hatte, wurde er 1936 zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt, die er in Essen und Bochum verbüßte. Im Jahr 1942 wurden er und seine Frau erneut verhaftet und verurteilt, Emil Guth zu zwei Jahren, Martha Guth zu einem Jahr. Weil sie sich weigerten, eine Erklärung zu unterschreiben, mit der sie ihrem Glauben abgeschworen hätten, wurden beide in ein Konzentrationslager überführt. Krüger las die Erklärung vor, und den handschriftlichen Zusatz von Emil Guth, in dem er klar machte, dass er weiter zu seiner Überzeugung stehen und seinen Glauben verbreiten werde. Welche Folgen dies haben würde, darüber dürften er und seine Ehefrau sich keine Illusionen gemacht haben.

Emil Guth kam ins KZ Buchenwald in Thüringen, wo er in einem Steinbruch Zwangsarbeit leisten musste. Martha Guth wurde ins KZ Ravensbrück in Brandenburg gebracht. Dort wurden die verschiedenen Häftlinge mit Farben an ihrer Kluft kenntlich gemacht, die Zeugen Jehovas mussten ein lilafarbenes Abzeichen tragen.

Nur knapp entging Martha Guth der Vergasung. Beide Eheleute wurden im Jahr 1945 befreit. Sie kehrten, von Haft und Misshandlungen gezeichnet, nach Radevormwald zurück, wo sich ein Glaubensbruder ihrer annahm.

Uwe Langhals, Menschenrechtsbeauftragter der Jehovas Zeugen und Vorstand der Arnold-Liebster-Stiftung, erinnerte an die Kriegsdienstverweigerer
aus den Reihen seiner Religionsgemeinschaft, die unter der Nazi-Diktatur gelitten hatten. Und er wies darauf hin, dass für diese Überzeugung auch heute noch Mitglieder im Gefängnis sitzen – „in Russland sind es aktuell 110 Personen“.

Im Zuge der etwa halbstündigen Gedenkstunde an der Bredderstraße wurden von einem Streichquartett zwei Stücke von Erich Frost gespielt. Auch er war als Mitglied von Jehovas Zeugen während der Nazizeit interniert gewesen, unter anderem im KZ Sachsenhausen.

Mit den beiden Stolpersteinen für das Ehepaar Guth gibt es nun in Radevormwald fünf dieser in das Pflaster versenkten Steine mit Messingplatten, die an die Opfer der Nazis erinnern. An der Burgstraße 1 gibt es einen Stein für Rolf Selbach, der 1944 in der Klinik Klagenfurt ermordet wurde – ein Opfer der sogenannten „Euthanasie“. Diesem Massenmord an behinderten und kranken Menschen fiel auch Hilde Hahne im Jahr 1941 in Hadamar zum Opfer, ihr Stein befindet sich an der Elberfelder Straße 118. An Paula Dürhager erinnert ein Stein in Rädereichen. Auch sie war in verschiedene Heilanstalten „verlegt“ worden. Sie starb 1944 in der Anstalt Weilmünster – verhungert.

Martha und Emil Guth haben die Nazi-Diktatur überlebt. Ein gutes Ende – für diese Zeit. Iris Kausemann schlug bei ihrer Ansprache im Zuge der Gedenkfeier den Bogen in die Gegenwart. „Ich habe immer geglaubt, dass wir heute in einem humanen Land leben“, sagte sie. Die jüngste politische Entwicklung in Deutschland habe diesen Glauben erschüttert. „Man sieht, wie rasch in einer Gesellschaft eine Spaltung einsetzt, die zu solchen Barbareien führen kann.“ Früher habe sie sich oft gefragt, wie all dies möglich gewesen sei: „Inzwischen weiß ich es.“