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Stadtführer schreibt Buch über sein Lennep

Stadtführer schreibt Buch über sein Lennep

RGA vom 14. Juli 2021

Frank Michalczak

Lothar Vieler erzählt über seine Jugendjahre in der Nachkriegszeit 

LENNEP: Nie im Leben habe er sich träumen lassen, dass er einmal ein Buch schreiben würde: „Und wenn, dann sicherlich nicht über mich“, merkt der Lenneper Lothar Vieler in seinem Vorwort an, mit dem er die Geschichten über seine Kindheit einleitet. „Tante Mary und das Wirtschaftswunder“ lautet der Titel der Chronik. In dieser weckt Lothar Vieler vielfältige Erinnerungen an Lennep in der Nachkriegszeit. An die Fischbude, die eigentlich auf der Kirmes anzutreffen war, aber an der Alten Kölner Straße überwinterte. An Volleyball in der Turnhalle Glocke. An Fräulein Krägerloh, die zwar eine strenge, aber sehr gerechte Lehrerin gewesen sei. Oder auch an das Radiogeschäft Steinrücke, an dem sich Hunderte versammelten, als der deutschen Fußballnationalmannschaft 1954 das Wunder von Bern gelang. Denn Geschäftsmann Steinrücke hatte „etwas Sensationelles“ ans Schaufenster gestellt – ein Fernsehgerät. „Und die Lautsprecher platzierte er so, dass alle den Ton hören konnten“, erinnert sich Lothar Vieler, der schon als kleiner Junge spürte, dass mit dem Titelgewinn eine Zeitenwende eingeleitet wurde. „Die Menschen fühlten sich nicht mehr so, als wären sie nur irgendwer.“ Es ging bergauf – nicht nur beim Fußball, auch mit der Wirtschaft. 

Vieler schildert seine Jugendzeit in 79 Episoden, und hat das Buch seinen Enkeln gewidmet, die erfahren sollten, wie es früher einmal war, als Opa noch ein Kind war. Und dass er sich wie ein Schneekönig freute, wenn Post von Patentante Mary aus den USA im Hause Vieler ankam. „Zu meinem Geburtstag schickte sie mir nicht nur eine bunt blinkende Karte, sondern zehn Dollar. Das war ein kleines Vermögen und entsprach fast unserer Monatsmiete.“ Kurz vor Weihnachten läutete Tante Mary mit einem Care-Paket die Feiertage ein. Inhalt: Haferflocken, Erdnussbutter, Cornflakes und auch Corned Beef in der Dose. 

Und ganz nebenbei brachte sie Lothar Vieler Englisch bei, was ihm bei seiner späteren Tätigkeit als selbstständiger Vertreter im Kunsthandel dienlich sein sollte. „Ich wollte ja wissen, was in ihren langen Briefen stand“, erzählt der Lenneper, der gegenüber dem Kreishaus behütet aufwuchs. Sein Vater, ein Schneidermeister, habe vom Wirtschaftswunder jener Jahre nichts gespürt. Im Gegenteil: Seine handwerklichen Dienste waren nicht mehr gefragt. Man kaufte plötzlich Kleidung von der Stange. „Das gleiche Schicksal erlebten die Schuster. Noch heute beschäftigt mich der Niedergang des Handwerks“, erklärt Vieler, der in seiner Chronik aber nicht mit Bitternis zurückblickt, sondern mit Liebe zu Lennep und den Menschen, die hier verwurzelt sind. Diese Zuneigung vermittelt er auch bei seinen Stadtführungen durch den historischen Stadtkern, bei denen er die Teilnehmer auf eine Zeitreise mitnimmt. Seit sieben Jahren schlüpft er dazu in die Rolle des Gustav om Hackenberge, der als Nachtwächter zahlreiche Geschichten über die Lenneper früherer Epochen erzählen kann. Die nötigen Informationen und passenden Anekdoten hatte er zuvor vom Bergischen Geschichtsverein erhalten. „Und eigentlich sollte ich passend zur Klostergasse als Mönch auftreten. Da fand ich Nachtwächter für mich doch passender“, blickt Vieler zurück. Schließlich habe dieser einen besonderen Blick auf das Geschehen. Nach der Corona-Pause können seit kurzem wieder seine Stadtführungen über die Bühne gehen. Der Nachtwächter ist zurück – und freut sich auf den Kontakt zu seinen Zuhörern, die er durch die alten Straßen in Lennep führt. 

Dabei hält Lothar Vieler keine langweiligen Vorträge, sondern sucht das Gespräch. „Keine Führung ist gleich. Auch ich lerne immer etwas Neues hinzu“, erklärt der Lennep-Experte. Das gilt auch für sein nächstes Ziel: Vieler lässt sich zum Naturparkführer Bergisch Land ausbilden und will beim Projekt Wupper-Tells Ausflüglern Sagen und Mythen entlang des Flusses näherbringen. Und dazu muss er sich auch Kenntnisse über Flora und Fauna aneignen. „Wer aufhört, zu lernen, hört auf zu leben“, hebt er hervor. Und das ist ganz sicher im Sinne seiner Tante Mary, die ihm schon als kleines Kind die englische Sprache nahebrachte – und mit ihren Care-Paketen zur Heldin wurde.