Logo Bergischer Verlag

Wilhelm Conrad Röntgen: Rezension aus „Musenblätter“

„Musenblätter“

Rezension von Johannes Vesper

Photographien-Photographs

Private Fotos und Reiseaufnahmen des Physik-Nobelpreisträgers

Wilhelm Conrad Röntgen wurde am 27.03.1845 in Lennep geboren. Sein Vater – ein wohlhabender Tuchhändler – sah die Zukunft seines Unternehmens in den Niederlanden. So zog 1848 die Familie nach Apeldoorn, wo der kleine Wilhelm auch die Schule besuchte. Weil er sich über seinen Klassenlehrer lustig gemacht hatte, musste er die Schule ohne Abschluss verlassen. Nach einer damals möglichen Aufnahmeprüfung wurde er trotzdem zur Universität zugelassen und begann sein Studium an der ETH Zürich (zunächst Maschinenbau). 1872 heiratete er die Tochter seines Stammkneipenwirtes aus Zürich, „wo die schönsten Jugenderinnerungen haften und wo der Grund zu ernster wissenschaftlicher Tätigkeit in mich gelegt wurde“.

Aus der Zürcher Studentenzeit stammt seine Vorliebe für die Schweiz, die er in den Ferien (5 Monate vorlesungsfreie Zeit als Professor damals!) immer wieder aufgesucht hat. Der naturbegeisterte Wanderer und Jäger fotografierte leidenschaftlich. In dem jetzt vorgelegten Fotoband werden bisher unbekannte, private Fotos von C.W. Röntgen aus der Zeit von 1890 bis 1913 gezeigt. Es gibt aber nicht nur Fotos von Wanderungen und Szenen in den Schweizer Alpen, sondern auch Fotos von seinen Reisen nach Italien und Holland. „Das Reisen, und namentlich das Reisen in Italien, gehört zu den wirksamsten Bildungsmitteln“. Jedes Jahr im Frühjahr machte er sich auf nach Florenz, Rom, Sorrent und sonst wo hin, und mit 4 Wochen Wanderurlaub in den Bergen um Pontresina verlängere sich sein Leben jeweils um 1 Jahr, war er überzeugt. Erste Fotos von Röntgen entstanden um 1885. Erst seit ca. 1880 gab es Momentkameras, nachdem 1878 die Gelatine- Trockenplatte entwickelt worden ist und das Negativ vor der Aufnahme ohne weitere Bearbeitung benutzt werden konnte. 1881 kam schon eine Foto-Anleitung für Hobbyfotographen auf den Markt. Und nach dem ersten Kodak Fotoapparat 1888 nahm das allgemeine Interesse an der Fotografie gewaltig zu.

Die Fotos des jetzt vorgelegten Bildbandes stammen aus dem umfangreichen Archiv des Deutschen Röntgenmuseums (gegründet 1932 in Lennep), selbst eine weltweit einzigartige Quelle zur Biographie des Forschers. C.W. Röntgen fotografierte zunächst mit der Plattenkamera, später auch mit der Stereokamera. Die große und unhandliche Plattenkamera erforderte ein Stativ, wodurch statische Landschafts- oder auch Städteaufnahmen, inszenierte Gruppen- oder Porträtaufnahmen bevorzugt entstanden. Touristische Ziele wurden seltener aufgenommen. Bei exzellenter Optik der Kamera und großen Negativplatten überraschen Schärfe und Zeichnung der Aufnahmen nach wie vor. Das Foto der Familie und Freunde von 1891 zeigt jedes Barthaar und alle Einzelheiten der plastischen Rinde der Bäume. Jede Mooszeichnung auf den Steinen entfaltet ihre eigene visuelle Wirkung. Die Inszenierung der Fotos von Personen erforderte natürlich Mitarbeit, Geduld und Interesse der Fotografierten. Das Foto (undatiert) von Berta Röntgen mit der später adoptierten Pflegetochter und den beiden im Puppenwagen aufgestellten Puppen ist alles andere als ein Schnappschuss. Und die vier Wanderer mit ihren zwei Begleiterinnen in Kleidern auf dem weißen Gletscher (1900) werden ihre Zeit benötigt haben, bis sie so auf die Platte gebannt waren. Die Aufnahme der elegant schrägen Eisläufer in Davos hat diese wie den Fotografen sicher herausgefordert.

Die Fotos geben Aufschluss über das Leben und die gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit, in der sie entstanden. Die bäuerlichen Szenen zeigen Heuwagen, die von Bäuerinnen mit der Heugabel entladen werden, zeigen Plätze in Zürich und anderswo zeitgemäß ohne jedes Auto. Nicht Feinstaub und Dieselabgase verdreckten damals Plätze und Straßen, sondern Pferdemist und Harn, was vor allem im heißen Italien eine schwere Umweltbelastung darstellte. In den eleganten Reisekutschen mit ihrer einfachen Federung reiste Ehepaar Röntgens zweispännig unter der Peitsche ihres Kutschers Schmid so komfortabel, wie damals möglich, auch über den Julierpass.