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Rezension von Jens Dobler
Rezension von Jens Dobler

Rezension von Jens Dobler

aus Mitteilungen der Magnus-Hirschfeldt-Ges.Nr.
65/66-Dezember 2020

Jens Dobler

Meike, Viola und Sarah Baldy:
Zeuge Waldeck. Das erfundene Leben des Rolf vom Busch.
Remscheid: Bergischer Verlag 2019, ISBN 978-3-945763- 86-5, 216 S., 16,95 €.

Man muss Rolf vom Busch nicht kennen. Man stolpert aber unweigerlich über seinen Namen, wenn man sich mit Homosexuali­tät, Kriminalität und Polizei in der Weima­rer Republik, mit der Frage einer vermeint­lichen Homosexualität Hitlers  oder  mit dem KZ Mauthausen beschäftigt. Wer sich schon über diese merkwürdige Aufzählung wundert, staunt über noch abenteuerlichere Aneinanderreihungen im realen Leben des Rolf vom Busch. Falls von „real“ überhaupt gesprochen werden kann.  Bislang  stieß man also in unterschiedlichen Themenbe­reichen auf Rolf vom Busch, kam aber schnell an die Grenze, ihn bzw. was er sagte oder was mit ihm geschah, einiger­ maßen seriös einzuschätzen, weil er sich in der Geschichte verlor und es keine weite­ren Akten zu geben schien. Von seinem Ende in einem Konzentrationslager ging man allseits aus. Dass er überlebte und sein abenteuerliches Leben fortsetzen konnte, war bislang unbekannt. Viola Meike, Stadtarchivarin in Remscheid, und Sarah Baldy, ebenfalls im dortigen Stadtarchiv tätig, haben sich der schwierigen Aufgabe gestellt und die Biografie vom Buschs ver­folgt. Dass es Archivarinnen aus Rem­scheid waren, ist kein Zufall, spielt doch auch Remscheid eine wichtige Rolle im Vom-Busch-Szenario.

Im August 1932 wurde in Berlin der 16-jährige Kurt Schöning ermordet aufge­funden. Ihm war die Kehle mit einem Ra­siermesser durchgeschnitten worden, die Genitalien waren vollständig vom Körper abgetrennt. Das weckte bei den Ermittlern Assoziationen zu einem zurückliegenden Fall aus dem März 1928 in Gladbeck, wo der 19-jährige Helmut Daube auf ähnliche Weise eimordet worden war. Obwohl es damals einen Hauptverdächtigen gab, ist der Fall nie aufgeklärt worden. Mehrere teils mysteriöse Mordtheorien ranken  sich bis heute um den Fall. Im Fall Schöning geriet der 26-jährige Hotelpage Rolf vom Busch ins Visier der Ermittler. Er galt als Homosexueller, war einschlägig wegen unsittlicher Handlungen mit Kindern vor­bestraft, und ihm fehlten jene beiden Ra­siermesser, die am Tatort gefunden wur­den. Zunächst gab er zu, den Täter zu kennen und ihm den als Prostituierten arbei­tenden Schölling zugeführt zu haben. Den Namen des Täters wollte er aber nicht nen­nen, da er ihm zu Dank verpflichtet sei. Dann gab er aber die Tat selbst zu. Vom Busch wurde wegen Mordes verurteilt, mit dem Gladbecker Mord aber nicht in Ver­bindung gebracht. 1936 wandte sich vom Busch an die Kripo und widerrief sein Ge­ständnis. Er nannte nun den Namen des angeblich wahren Mörders und bezichtigte diesen, auch Daube in Gladbeck ermordet zu haben. Der Beschuldigte hielt sich je­doch im Ausland auf und war für die Poli­zei nicht zu erreichen. In einem weiteren Widerruf bestätigte vom Busch sein erstes Geständnis, er habe Schöning doch ermor­det, aber der andere Täter sei für den Dau­be-Mord verantwortlich. In einem aberma­ligen Widerruf erklärte er sich dann auch im Daube-Mord für schuldig.

Warum seinerzeit nur in Richtung Daube geschaut wurde und man nicht in Berlin weitersuchte, bleibt ein Rätsel. Denn bereits im Jahre 1925 begann in Ber­lin eine Serie von Mordfällen an männli­chen Jugendlichen, die im Schatten des Haarmann-Falles einige Diskussionen über die vermeintliche Gefährlichkeit Homose­xueller auslösten. Ende Oktober 1925 wur­de der 16-jährige Gerhard Schnäpel bei Geltow ermordet aus der Havel gezogen. Schnäpel war Page im Cafe Vaterland ge­wesen, er wurde als „gut gewachsen“ be­schrieben, und das Fahndungsfoto zeigt ein auffallend schönes Gesicht. Die Mord­kommission mutmaßte, dass Schnäpel möglicherweise „von Homosexuellen ver­schleppt“ worden sei, bevor er ermordet wurde. Auch Rolf vom Busch war Hotel­page. Gut ein halbes Jahr später, im Juni 1926, wurde die Leiche des 17-jährigen Bäckerlehrlings Kurt Lehrke aus dem Lui­senstädtischen Kanal geborgen. Auch Lehrke war wie Schnäpel ungefähr vier Wochen vorher spurlos verschwunden. Die Ähnlichkeiten mit dem Fall Schnäpel wur­den durchaus gesehen, und wieder ging man davon aus, dass Lehrke von Homose­xuellen „verschleppt“ worden sei.

1925/26 war Rolf vom Busch aber noch nicht in Berlin. Er wurde 1905 in Rem­scheid geboren, wo die Eltern ein Kolom­alwarengeschäft betrieben. Er besuchte zwar das Gymnasium, verließ es aber we­gen ungenügender Leistungen ohne Ab­schluss. Trotzdem war er begabt, zumin­dest das scheint bestätigt. Er bildete sich selbst fort, lernte Sprachen und spielte Mu­sikinstrumente. Bereits in frühester Jugend begann er mit der Hochstapelei, wechselte seinen Namen „vom Busch“ in „von Busch“ und nannte sich beispielsweise „Rayo, Edler Rudolf Uli Freiherr von Busch-Waldeck“. Dick aufgetragen? Sol­che und ähnliche Namen trug er bis zum Schluss. Früh ging er zu den Pfadfindern, war im Nerother Wandervogel, besuchte die Burg Waldeck, hatte homosexuelle Kontakte und missbrauchte Jungen. Wegen Verstößen gegen § 176 verbüßte er 22 Mo­nate Gefängnis in Elberfeld. Danach ging er nach Berlin. Hier soll er über Pfadfinderkontakte Alfred Mummy ken­nengelernt haben. Dieser zählte zu den Verdächtigen im Daube-Mord in Glad­beck, das nur 70 Kilometer von Remscheid entfernt liegt. Weder Mummy noch vom Busch wurden für den Daube-Mord verur­teilt. Für den Schöning-Mord erhielt vom Busch 15 Jahre Gefängnis wegen Tot­schlags. Sein Verteidiger war Walter Bahn. Die Haft verbüßte er im Zuchthaus Bran­ denburg-Görden.

Nach 1933 wurden die Haftbedingun­gen schärfer und das Zuchthaus überbelegt. Sexualstraftäter hatten es ungleich schwe­rer. 1934 wurde vom Busch aufgrund des Gewohnheitsverbrechergesetzes entmannt, und Sicherungsverwahrung wurde ange­ordnet. Die Hoffnung schwand, jemals wieder aus der Haft zu kommen. Seine Prahlerei blieb, er galt als Adeliger. Selbst im Hausbuch des Zuchthauses wurde er als „Adolf Ulrich von Busch“ geführt, und er gab sich als politscher Häftling aus. Vor anderen „Politischen“ prahlte er damit, homosexuelle Beziehungen mit Röhrn , anderen hochstehenden Nazis und Hitler selbst gehabt zu haben. Wegen dieses Wis­sens hätten die Nazis ihn aus dem Verkehr gezogen.

Der Verdienst von Viola Meikes Re­cherchen ist, dass sie weder das Behauptete abtut noch als wahr hinstellt. Sie verfolgt mögliche Spuren und findet verrückte Ver­bindungen, Namen, Netzwerke, die zumin­dest beachtenswert sind. 

In aller Kürze: Die „Politischen“ wollen Kapital aus der Geschichte ziehen, die Sache fliegt auf, 1936 landet vom Busch vor dem Volksge­richtshof und wird wegen Verleumdung des Führers zu weiteren zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Es ist dies das Jahr, in dem er wieder mit der Berliner Mordkom­mission in Kontakt tritt und sich für den Mord an Daube in Gladbeck verantwort­lich erklärt.

Als Sicherungsverwahrter in Görden musste vom Busch spezielle Anstaltsklei­dung tragen, offenbar gab es Misshandlun­gen, er magerte ab, schaffte es aber zum Kalfaktor, also in eine privilegierte Stel­lung, die die „Politischen“ eigentlich unter sich vergaben. Ein anderer prominenter Kalfaktor in Görden war Erich Honecker.

Ab Ende 1942 begann man die Sicher­heitsverwahrten und Zuchthausgefangenen i n Konzentrationslager zu verlegen. Sie wurden damit in die Obhut der Polizei übergeben. Vom Busch kam im Mai 1943 nach Sachsenhausen und von dort einen Monat später nach Mauthausen. Hier trug er dann den „grünen Winkel“ als Berufsverbrecher.

Höchstwahrscheinlich trifft er in Maut­hausen auf einen anderen Hochstapler: den ehemaligen Kriminalkommissar Gerhard Kanthack, lange Jahre in der Berliner Ge­stapo zuständig für Homosexuellenverfol­gung. Zur Zeit des Schöning-Mordes arbei­tete  Kanthack noch bei der Kripo, Abtei­lung für Einbrüche, aber spätestens ab 1934 dürften ihm der Name Rolf vom Busch, dessen Umfeld und dann die erneu­ten Einlassungen zum Daube-Mord ein Begriff gewesen sein. Kanthack war in Berlin in Ungnade gefallen, als unzuver­lässig eingestuft und wegen „Querulanten­tums“ in Schutzhaft genommen worden. In Mauthausen konnte er sich der SS gegen­über als strammer Nazi, der „etwas über die Stränge geschlagen“ habe, ausgeben und erhielt einen Job in der Häftlingsverwaltung. 

Vom Busch kam ins Außenlager Wiener Neudorf. Hier kam er offenbar als Assistent in der Krankenabteilung unter undmutierte zu „Dr. Rolf Busch­-Waldeck“. Unter diesem Namen machte er nach 1945 auch seine Zeugenaussagen u. a. gegen den Lagerkommandanten Kurt Schmutzler, der 1948 zum Tode verurteilt wurde. Vom Buschs Bericht über den To­desmarsch aus Wiener Neudorf liest sich schrecklich, als Inferno menschlicher Tra­gödie.  Er ist aber falsch. Auch Kanthack verfasste einen über 100-seitigen Bericht, der in den Mauthausen-Prozessen Verwen­dung fand. Hätten die Anwälte der Ange­klagten von deren Vorleben gewusst, wären beide als Zeugen aus dem Prozess ge­flogen.

1945 ging vom Busch nach Wien und wurde Mitglied im Verband ehemaliger Konzentrationslager-Häftlinge, auch dies­mal als Arzt und wieder adelig: Dr. Rolf von Busch-Waldeck. Er sollte sich noch zum Sprachwissenschaftler und Dolmet­scher mausern, ein angeforderter Strafregisterauszug aus Deutschland ergab unter diesem Namen aber keinen Eintrag!

Die nächsten 17 Jahre lebte vom Busch bei einer Witwe in Wien, ließ sich von ihr aushalten und arbeitete nicht. Dann begeg­nete er 1962 einer weiteren Frau, deren spiritistischer Berater er wurde. Man lernte sich über Yoga kennen, und da vom Busch auch Buddhist war und angeblich 28 Spra­chen beherrschte, geriet die psychisch labi­le Frau völlig in seine Abhängigkeit. Die Geschichte, die er ihr im Laufe der Jahre auftischte, ging zusammengefasst so: Im KZ Sachsenhausen sollte ein Priester zur Strafe an ein Kreuz genagelt werden. Vom Busch bot sich anstelle des Priesters an und wurde ans Kreuz geschlagen. Als die SS ihn tot wähnte, ließ man den vermeintli­chen Leichnam abnehmen, und Kameraden nahmen sich seiner an. Nach drei Tagen fand er ins Leben zurück. Für Margarete Gruber, so der Name der Frau, wurde vom Busch zu Angelus. Auch offenbarte er sich als ein Gralsritter aus altem Geschlecht usw. In Wirklichkeit hatte er als Hilfsarbei­ter gearbeitet und ließ die Wohnung ver­kommen. 1971 starb er an Koronarsklero­se.

Ich glaube, ich habe selten bei einem Buch so oft den Kopf geschüttelt wie bei diesem. Man fragt sich unweigerlich:  Wie kann das sein? Wie kommt so jemand mit so etwas durch? Es gab ja noch einen ande­ren berühmten schwulen Hochstapler, der als Kaisersohn durch die Zwanzigerjahre zog. Harry Domela berichtete in seinem Buch „Der falsche Prinz“ über seine Masche. Nicht nur, dass die Leute seine Geschich­ten glauben wollten, sie forderten sie gera­dezu. Er leugnete im Grunde, der Sohn des Kaisers zu sein, und alle verstanden das, weil sie überzeugt waren, dass der Prinz inkognito reise. Je mehr inkognito er war, je mehr sprach sich herum, dass der Sohn des Kaisers anwesend sei. Er wurde ho­fiert, eingeladen, bewirtet, und es wurde ihm Kredit gewährt. Für die Gegenwart fallen mir gleich mehrere Hochstapler ein, ich würde sogar sagen, sie haben geradezu Hochkonjunktur. Insofern wird es den Fe­lix Krulls dieser Welt auch sehr einfach gemacht.

Viola Meike ist eine grandiose, gründ­lich recherchierte Biografie geglückt, die trotz des Wahnsinns sachlich bleibt und Rolf vom Busch auch gerecht wird. Sie liest sich wie ein Krimi, und man kann sie auch gut als Sofa- oder Strandlektüre emp­fehlen.

Jens Dobler